Der Wunderhorn-Express ...

1986 Oldenburg-Cup: Gastgeber VfL Oldenburg gewinnt zum ersten Mal das Turnier. Links: Robert Schumann (Foto: Archiv Robert Schumann)


... läuft und läuft und läuft und läuft


„Wir sitzen alle im gleichen Zug und reisen quer durch die Zeit. Wir sehen hinaus. Wir sahen genug. Und fahren alle im gleichen Zug. Und keiner weiß, wie weit.“

Vor über 80 Jahren schrieb der Moralist Erich Kästner diese Zeilen. Seitdem ist viel passiert. Es gab schlechte und gute Zeiten, vieles hat sich verändert, doch einige Dinge sind immer noch genauso wie früher. Wenn der Mensch unterwegs ist mit anderen Menschen, wenn er reist durch die Zeit, dann kann er sein Glück finden, Freundschaften schließen und Verbindungen schaffen, die vielleicht nicht ewig halten, aber mehr sind, als winzige Augenblicke…

Wenn ein Turnier seit 29 Jahren seine Türen für Freunde aus vielen Ländern Europas öffnet, ist das schon eine besondere und außergewöhnliche Geschichte. Sie erzählt von Reisen und Begegnungen, von Beziehungen von Menschen, die sich gefunden haben und einen Teil ihres Lebens zusammen gegangen oder gefahren sind.


Sportlicher Austausch trotz Eiserner Vorhang

Doch fängt diese Geschichte im Jahre 1986 an, als der VfL Oldenburg als Gastgeber zum ersten Mal ein Internationales Handballturnier für acht Mannschaften ausrichtete? Wahrscheinlich nicht. Dieser Zug der Zeit startete schon einige Jahre früher. Wahrscheinlich 1978, als die weibliche A-Jugend zum ersten Mal Deutscher Meister wurde. Mit an Bord waren damals Rita Köster, Cornelia Kuck, Maike Schmidt und Diana Diekmann, die zwei Jahre später mit der 1. Damenmannschaft in die 1. Bundesliga aufstiegen und das Gerüst für die ersten sechs Jahre bildeten. So nahm der Zug mit den beiden Lokführern Robert Schumann und Werner Bokelmann langsam an Fahrt auf und war nur selten zu stoppen, 1981 Pokalsieger, 1983 Vizemeister, sowie die deutschen Jugendmeisterschaften (weibliche Jugend A 1984 und 1985, weibliche Jugend B 1985 und 1986). Neben den sportlichen Erfolgen im nationalen Rahmen gesellte sich der Wettkampf mit dem europäischen Ausland, vor allem der Kontakt nach Osteuropa (1984 „Vize-Europapokalsieger“).

Robert Schumann füllt das Wunderhorn. (Foto: Archiv Robert Schumann)


Einen weiteren Meilenstein setzte der VfL Oldenburg dann im August 1986. Vielleicht bekam der VfL-Express aber auch nur eine neue Lokomotive, um auf neuen Gleisen effizienter fahren zu können. Zugchef Robert Schumann setzte auf das gleiche und bewährte Personal, das schon seit vielen Jahren ständiger Begleiter auf kurzen und langen Reisen gewesen war. Die neuen Strecken waren zwar nicht immer gerade und manchmal ganz schön holprig, doch der Turnierzug sammelte ab diesem Zeitpunkt Jahr für Jahr pflichtbewusst und routiniert seine Gäste von nah und fern ein. Zu Anfang war es gar nicht so einfach, denn ein Eisener Vorhang trennte die östliche von der westlichen Welt. Die Oldenburger Visionäre – neben Robert Schumann in erster Linie Bernd Kempf und Wilhelm Kohlrenken – standen ganz im Zeichen der Losung von Willy Brand, der in den 1970er Jahren den Wandel durch Annäherung propagierte. Und genau das war der Anspruch, über den sportlichen Austausch eine Ebene zu finden, die Menschen aus verschiedenen politischen  Systemen zusammenzuführen sollte.

Beim ersten Turnier nahmen mit IF Helsingor und E&O Emmen aber nur zwei ausländische Mannschaften aus den Nachbarländern Dänemark und Niederlande teil. Und auch die fünf anderen Teams waren noch keine Bundesligisten wie heute, sondern kamen als Ober- bzw. Regionalligisten aus der norddeutschen Tiefebene.

Szczecin erster ausländischer Sieger – viele weitere folgten

Nach gelungener Premiere als kleines aber feines Handballturnier, das zwar dem hochklassigen Aufeinandertreffen von nationalen und internationalen Spitzenmannschaften im süddeutschen Bad Urach noch keine Konkurrenz machen konnte, wuchs das Turnier um das Oldenburger Wunderhorn von Jahr zu Jahr. Ein Indiz für die qualitative Weiterentwicklung dokumentierte sich aus der Tatsache, dass der VfL Oldenburg nach dem ersten Erfolg 19 Jahre darum kämpfen musste, um sich nach 1986 wieder als Turniersieger feiern lassen zu dürfen. Bis 2005 gab es neben dem Gastgeber nur drei deutsche Erstplatzierte (1991 TuS Walle Bremen, 1998 BVB Lichtenberg 49, 2004 Buxtehuder SV).

Siegerehrung 1998: Turniersieger BVB Lichtenberg 49 (Foto: Archiv Robert Schumann)

 

Montex Lublin (PL) gewann vier Mal das Turnier (Foto: Archiv Robert Schumann)


Schon bei der zweiten Auflage (zwölf Mannschaften) konnte mit Pogon Szczecin (Stettin) die erste Mannschaft aus Osteuropa begrüßt werden, die es sich dann auch nicht nehmen ließ, als Sieger die Sporthalle Rebenstraße zu verlassen. Neben der sportlichen Auseinandersetzung kam es in der Weser-Ems-Halle zu einem sportmedizinischen Symposium und einem Trainerseminar, das sich von diesem Zeitpunkt an zu einem zweiten großen Standbein entwickelt hat.

1990: 19 Teilnehmer, fünf Hallen, 300 Helfer

Nach zwei weiteren erfolgreichen Jahren mit bulgarischen und ungarischen Mannschaften stand das Turnier im Wendejahr 1990 vor einer fast unlösbaren Aufgabe. 19 Mannschaften kämpften um den Pokal, zum ersten Mal war mit Pozitron Leningrad auch ein Team aus der UdSSR am Start. Unzählige Helfer kümmerten sich um über 300 Personen (Spielerinnen, Trainer, Offizielle). Es wurde in fünf Hallen gespielt: in Delmenhorst, Wiefelstede, Rastede und zweimal in Oldenburg. Neben der Mannschaft aus der Sowjetunion kamen weitere zehn aus dem Ausland: vier aus den Niederlanden, mit Halle, Magdeburg und Ost-Berlin drei aus der DDR, zudem aus Polen, Bulgatrien und der CSSR.

Das Turnier musste sich nach diesem außergewöhnlichen Jahr mit deutscher Wiedervereinigung auf ein für alle Beteiligten machbares Maß zurückgeschraubt werden. Der Turnierzug war zu voll und konnte einfach nicht mehr mit Volldampf fahren. So beschlossen die Verantwortlichen, dass Turnier wieder zu verkleinern.

Aber eine richtige Kontinuität in Bezug auf die Teilnehmerzahl gab es kaum, fast jedes Jahr variierte sie. Mal waren es zwölf, mal 13 und dann wieder 15  Mannschaften. Im Zuge der Neuordnung in Europa war das Wunderhornturnier ein Schaulaufen von Mannschaften aus Russland, Polen, der Ukraine, Rumänien, Tschechien, der Slowakei, Serbien und Litauen. Durch die immer wiederkehrenden Mannschaften wie etwa Start Elblag (Polen), Slavia Prag, Automobilist Brovary Kiew und Tramp St. Petersburg entwickelten sich zwischen Menschen, die ein privates Quartier zur Verfügung stellten und den Spielerinnen und Verantwortlichen Freundschaften, die zum Teil bis heute gepflegt werden. Trotzdem sollte nicht vergessen werden, dass auch Teams aus Frankreich, Österreich und der Schweiz immer wieder mit von der Partie waren. Und zweimal wurde aus der europäischen Note eine globale: 1999 gab sich die chinesische Nationalmannschaft die Ehre, 1998 auch ein Team aus den USA.

Turnier-Zug fährt weiter

Die erste große Zäsur fand im Jahr 2001 statt, als der große Lotse Robert Schumann schwer erkrankte und 2002 endgültig von Bord ging und die große Handballbühne für immer verließ. Doch auch ein solches Lebenswerk konnte weitergeführt werden, weil es im Umfeld des Vereins sehr viele engagierte Persönlichkeiten gab, die mit alter und neuer Kraft den Grundgedanken dieses sportlichen Wettstreites weiter mit Leben füllen wollten. Michael Brand übernahm verantwortlich für zehn Jahre in bester Manier die Leitung und musste die ganze Zeit immer hart dafür kämpfen, jeden Sommer mit seinen Mitstreitern ein Turnier zu organisieren, dass an die erfolgreichen ersten zwei Jahrzehnte anknüpfen konnte.

Vor zwei Jahren gab dann Michael Brand den Staffelstab an Heike Horstmann weiter, die in der Tradition von Robert Schumann das Turnier nun zum dritten Mal federführend organisiert. Robert Schumann hatte sie als sehr talentierte und ambitionierte Rückraumspielerin des SSV Sundern 1989 beim Halbfinale um die deutsche A-Jugend Meisterschaft entdeckt und kurze Zeit später zum VfL Oldenburg gelotst. Über ein Jahrzehnt stand sie im Bundesligateam und gewann sogar mit der deutschen Nationalmannschaft die Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft 1997.

Seit einigen Jahren ist die Teilnehmerzahl konstant geblieben. Acht Teams, vier ausländische und vier deutsche bilden das Gerüst für ein Turnier, das seine Endstation noch lange nicht erreicht hat. Das diesjährige Teilnehmerfeld steht fast stellvertretend für die letzten 29 Jahre. Sehr oft waren Mannschaften aus Polen und den Niederlanden dabei. SV Dalfsen kommt nun zum fünften, die HSG Blomberg-Lippe zum neunten und der Buxtehuder SV sogar zum 17. Mal.

17. Mal dabei: Buxtehuder SV, damals mit Trainer Leszek Krowicki (Foto: Archiv Robert Schumann)


HC Lada Togliatti tritt nach dem letzten Jahr wieder an und erhöht somit die insgesamt russischen Teilnahmen auf 21. Und nach 14 dänischen Auftritten kommt mit Byåsen Trondheim zwar auch eine skandinavische Mannschaft, aber eine aus dem Nachbarland Norwegen.

Auch zwischen den Reinickendorfer Füchsen und dem VfL Oldenburg gibt es eine lange Verbindung. 1978 schlug die schon am Anfang erwähnte A-Jugend den damaligen amtierenden Deutschen Meister im Halbfinale in einem Herzschlagthriller in Oldenburg. Hier lag vielleicht die Geburtsstunde für viele Jahrzehnte erstklassigen Frauenhandball…

Wenn jetzt zum 30 . Mal das Turnier angepfiffen wird, können alle Beteiligten, ob als Spieler, Trainer, Zuschauer oder Helfer und Verantwortlicher, glücklich und zufrieden nach vorn, aber auch zurück schauen auf eine lebendige und nachhaltige Veranstaltung, die generationenübergreifend sportlich und gesellschaftlich immer noch dazu beiträgt, Menschen zu verbinden.

Der Turnier-Zug steht bereit, steigen Sie bitte ein…

Der Autor dieses Textes ist Matthias Blum. Für das 30. Wunderhorn-Turnier hat Blum hauptsächlich mit Archivmaterial Helga Schumanns eine Ausstellung über die Turnier-Geschichte zusammengestellt, die in einem Zelt auf dem Vorplatz zu sehen sein wird. Dieser Text wird dort auch in den Sprachen der Gäste zu lesen sein: auf Russisch, Polnisch, Norwegisch und Niederländisch.



Matthias Blum - August, 2015

 

 

 

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